Was ist das Piriformis-Syndrom?
- Sascha Bade
- 15. Jan.
- 9 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. März
Ein plötzlich auftretender, stechender Schmerz im Gesäß, der bis ins Bein zieht – viele denken dabei sofort an einen Bandscheibenvorfall. Doch nicht immer ist die Wirbelsäule schuld. Tatsächlich steckt oft eine weit weniger bekannte Ursache dahinter: das sogenannte Piriformis-Syndrom.

Inhaltsverzeichnis
Obwohl das Piriformis-Syndrom vergleichsweise selten diagnostiziert wird, nimmt die Forschung an, dass zwischen 6 und 8 % aller Schmerzsyndrome im unteren Rücken durch diesen kleinen, birnenförmigen Muskel ausgelöst werden. Betroffene leiden oft monatelang unter Beschwerden, weil das Syndrom schwer von anderen Erkrankungen wie Bandscheibenvorfällen oder Hüftarthrose zu unterscheiden ist.
Was ist das Piriformis-Syndrom?
Der Musculus piriformis (oft als Piriformis-Muskel bezeichnet) liegt in der tiefen Hüftmuskulatur und verläuft von der Innenfläche des Kreuzbeins (Os sacrum) bis zur Spitze des großen Rollhügels (Trochanter major) am Oberschenkelknochen. Er hat mehrere wichtige Funktionen:
Außenrotation der gestreckten Hüfte: Bei einem gestreckten Bein dreht er den Oberschenkel nach außen.
Abspreizen des Oberschenkels: Bei gebeugter Hüfte hilft er dabei, das Bein nach außen zu bewegen.
Stabilisation der Hüfte: Er hält den Hüftkopf in der Gelenkpfanne und trägt damit zur Stabilität des Hüftgelenks bei.
Seinen Namen verdankt der Piriformis-Muskel seiner Form: Er sieht birnenförmig (lateinisch “piriformis”) aus. Seine Lage ist jedoch entscheidend für das Syndrom: Er zieht durch das große Sitzbeinloch (Foramen ischiadicum majus) und unterhalb von ihm verläuft der Ischiasnerv. Kommt es zu einer Verspannung, Verhärtung oder Verdickung des Piriformis-Muskels, führt das zu einem Engpass im sogenannten Foramen infrapiriforme, durch das der Ischiasnerv verläuft. Wird der Nerv eingeklemmt oder gereizt, treten typische Schmerzen auf, die vom unteren Rücken über das Gesäß bis hinunter in die Beine und sogar in die Füße ausstrahlen können.
In der Medizin wird das Piriformis-Syndrom gelegentlich auch als „Engpasssyndrom des Foramen infrapiriforme“ bezeichnet, was den anatomischen Hintergrund genauer beschreibt.

Warum kommt es zum Piriformis-Syndrom?
Die häufigsten Ursachen sind Überlastung und Fehlhaltungen. Wer viel sitzt, insbesondere mit übereinandergeschlagenen Beinen oder einem dicken Geldbeutel in der Gesäßtasche, belastet den Piriformis-Muskel einseitig. Langfristige Fehlhaltungen können zu einer Verspannung oder Verkürzung des Muskels führen. Weitere Auslöser im Überblick:
Bewegungsmangel
Beckenfehlstellung
Skoliose (Seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule)
Hüftarthrose auf der gegenüberliegenden Seite (Kommt es zu einer Schonhaltung, wird die andere Seite stärker beansprucht.)
Intensives Training (z. B. Laufen, Radfahren) ohne ausreichendes Dehnprogramm
Stumpfes Gesäßtrauma oder plötzliche Zerrungen
Schwangerschaft (veränderte Statik und Gewichtsverlagerung)
Bei manchen Menschen liegt auch ein anatomisch abweichender Verlauf des Ischiasnervs vor: Er kann in diesem Fall teilweise oder vollständig durch den Piriformis-Muskel hindurch statt darunter verlaufen. Diese Abweichung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es bei einer Verspannung oder Verdickung des Muskels zu einer Kompression des Nervs kommt.
Um sich das Zusammenspiel von Muskel und Nerv besser vorstellen zu können, hilft das Bild eines Gartenschlauchs, durch den Wasser fließt, und eines kleinen Knotens oder einer Quetschung, die sich an einer Stelle bildet. Solange der Schlauch frei ist, kann das Wasser (in unserem Fall: Nervenimpulse und Blutfluss) reibungslos zirkulieren. Entsteht jedoch ein Knoten oder eine Verengung, wird der Fluss gestört – es kommt zu einem Stau und damit verbundenen Problemen. Übertragen wir das Bild auf den Körper: Der Piriformis-Muskel funktioniert wie der „Schlauch“. Gerät er in eine dauerhafte Verspannung oder Verdickung (der „Knoten“), wird der Ischiasnerv gereizt – es entstehen Schmerzen, Taubheitsgefühle oder Kribbeln.
Welche Symptome hat ein Piriformis-Syndroms?
Die Symptome des Piriformis-Syndroms ähneln oft denen eines Bandscheibenvorfalls, was die Diagnose erschweren kann. Typische Anzeichen sind:
Schmerzen im Gesäßbereich: Einseitige, tiefliegende Schmerzen, die oft als stechend oder brennend beschrieben werden.
Ausstrahlende Schmerzen: Die Schmerzen können vom Gesäß über die Rückseite des Oberschenkels bis in die Wade oder den Fuß ausstrahlen, ähnlich wie bei einer Ischialgie.
Verstärkung der Schmerzen: Aktivitäten wie langes Sitzen, Treppensteigen oder das Übereinanderschlagen der Beine können die Beschwerden intensivieren.
Neurologische Symptome: In einigen Fällen treten Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Muskelschwächen im betroffenen Bein auf.
Diagnostik: Woran erkenne ich das Piriformis-Syndrom?
Die Diagnose des Piriformis-Syndroms gestaltet sich oft schwierig, weil die Symptome unspezifisch sind und leicht mit Bandscheibenvorfällen, Spinalkanalstenosen oder ISG-Syndromen verwechselt werden können. Trotzdem gibt es einige Untersuchungsmethoden und Tests, um den Verdacht auf ein Piriformis-Syndrom zu erhärten:
Ausführliches Anamnesegespräch
Körperliche Untersuchung
Klinische Tests (zur gezielten Provokation der Schmerzen)
Bildgebende Verfahren
Elektromyografie (EMG)
Elektroneurografie (ENG)
Differentialdiagnosen
Folgende Erkrankungen können ähnliche Symptome auslösen:
Lumbaler Bandscheibenvorfall: Drückt die Bandscheibe auf Spinalnerven, kann es zu Ausstrahlungen in Bein und Fuß kommen.
Spinalkanalstenose: Eine Verengung des Wirbelkanals in der unteren Lendenwirbelsäule verursacht ähnliche Beschwerden.
Hüftarthrose: Schmerzen im Hüftgelenk können ins Gesäß und Bein ausstrahlen.
ISG-Syndrom: Blockaden im Iliosakralgelenk verursachen ebenfalls Schmerzen im unteren Rücken, die in die Beine ausstrahlen können.
Ischialgie: Allgemeiner Begriff für Ischiasnerv-Beschwerden, deren Ursachen vielfältig sein können.

Behandlung: Was hilft beim Piriformis-Syndrom?
Die gute Nachricht: In vielen Fällen lässt sich ein Piriformis-Syndrom konservativ behandeln. Typische Maßnahmen sind:
Physiotherapie & Osteopathie
Gezielte Dehnübungen für den Piriformis- und Gesäßbereich
Kräftigungsübungen, um muskuläre Dysbalancen auszugleichen
Manuelle Therapie, um Fehlhaltungen zu korrigieren
Massage und Eigenmassage
Zum Beispiel mit einem Tennisball an der Wand (oder auf dem Boden), um Verspannungen zu lösen.
Exzentrisches Training
Übungen, bei denen vor allem die verlängernde Kontraktion des Muskels betont wird, um die Belastbarkeit der Muskulatur zu erhöhen.
Stoßwellentherapie
Gezielte mechanische Reize können Verspannungen lösen und die Durchblutung fördern.
Kälteanwendungen oder Ultraschalltherapie
Wirken bei vielen Patienten schmerzlindernd.
Schmerzmittel
Insbesondere NSAR (nichtsteroidale Antirheumatika) helfen in akuten Phasen.
Langfristig sollten sie jedoch nicht überdosiert angewendet werden, um Nebenwirkungen (z. B. Magenprobleme) zu vermeiden.
Infiltrationstherapie
In hartnäckigen Fällen: Eine Injektion mit einem lokalen Betäubungsmittel (ggf. kombiniert mit einem Kortisonpräparat) in den Bereich um den Piriformis-Muskel und den Ischiasnerv.
Operation
Nur sehr selten erforderlich. Kommt meist nur in Betracht, wenn konservative Maßnahmen über Monate keinen Erfolg bringen und die Beschwerden massiv sind.
Welche Schlafposition hilft?
Wer bereits starke Schmerzen hat, sollte öfter mal die Position wechseln:
Rückenlage: Entlastet die Wirbelsäule und kann Druck vom Gesäß nehmen.
Seitenlage: Bei starkem Schmerz lieber auf der gesunden Seite liegen. Ein Kissen zwischen die Knie legen, damit Hüfte und Wirbelsäule entlastet werden.
Achten Sie darauf, dass die Matratze nicht zu hart ist. Eine leichte Einsinkung im Hüft- und Schulterbereich ist empfehlenswert, sodass kein zu großer Druck auf die Gesäßmuskulatur ausgeübt wird.
Übungen gegen das Piriformis-Syndrom
Regelmäßige Übungen (zwei- bis dreimal pro Woche) helfen, den Piriformis-Muskel zu dehnen und zu kräftigen. Nachfolgend einige bewährte Übungen:
Dehnung des Musculus piriformis
Ausgangsstellung: Rückenlage, das betroffene Bein in Hüfte und Knie beugen.
Ausführung: Knie Richtung diagonale Schulter ziehen, bis eine Dehnung in der Gesäßmuskulatur spürbar ist. 15–30 Sekunden halten, 3 Wiederholungen pro Seite.
Dehnung der Glutealmuskulatur
Ausgangsstellung: Rückenlage, beide Beine angewinkelt.
Ausführung: Die rechte Ferse über das linke Knie legen und den linken Oberschenkel mit beiden Händen leicht Richtung Brust ziehen. Anschließend Seitenwechsel. 15–30 Sekunden halten, 3 Wiederholungen pro Seite.
Entspannung der Gesäßmuskulatur (Eigenmassage)
Ausgangsstellung: Rücken an die Wand, ein Tennisball unterhalb des Hosenbundes zwischen Wand und Gesäß platzieren.
Ausführung: Druck aufbauen und die schmerzhafte Region kreisend massieren.
Kräftigung der Oberschenkel- und Gesäßmuskeln
Ausgangsstellung: Aufrechter Stand vor einem Stuhl, Knie berühren leicht die Sitzfläche.
Ausführung: Gesäß Richtung Stuhl absenken (wie bei einer Kniebeuge), Rücken bleibt gerade. 15 Wiederholungen, 2–3 Sätze.
Alle Übungen sollten schmerzfrei oder nur leicht unangenehm sein. Treten währenddessen starke Schmerzen auf, kann es sinnvoll sein, den Bewegungsumfang zu verringern oder die Übung vorerst zu unterbrechen.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Thema Piriformis-Syndrom:
Welche Symptome deuten auf ein Piriformis-Syndrom hin?
Wie kann ich akute Schmerzen lindern?
Wann sollte ich zum Arzt oder Therapeuten gehen?
Ist Bewegung trotz Schmerzen ratsam?
Kann das Piriformis-Syndrom chronisch werden?
Wo genau befindet sich der Piriformis-Muskel und welche Funktion hat er?
Kann das Piriformis-Syndrom von selbst heilen?
Welche Rolle spielt das Schuhwerk beim Piriformis-Syndrom?
Können Beinlängendifferenzen ein Piriformis-Syndrom begünstigen?
Ist eine Operation beim Piriformis-Syndrom notwendig?
Welche Rolle spielt die Psyche bei der Entstehung oder Heilung des Piriformis-Syndroms?
Kann Osteopathie beim Piriformis-Syndrom helfen?
Ist es sinnvoll, bei Piriformis-Schmerzen gezielt auf einseitige Belastungen zu verzichten?
Hilft eine gezielte Beckenboden-Stärkung bei einem Piriformis-Syndrom?
Studien und Quellen
Benzon HT, et al. (2015). Piriformis Syndrome and Sciatic Pain: Diagnosis and Management. Pain Physician, 18(6): E1037-56.
Boyajian-O’Neill LA, et al. (2008). Diagnosis and Management of Piriformis Syndrome: An Osteopathic Approach. The Journal of the American Osteopathic Association, 108(11): 657-664.
Probst M, et al. (2019). Case Report: Piriformis Syndrome in Runners. Journal of Orthopaedic & Sports Physical Therapy, 49(4): 1-11 (Fallstudien).
Dezawa A, et al. (2003). Endoscopic Treatment of a Piriformis Muscle Herniation Causing Sciatic Pain: A Case Report. Spine, 28(11): E212–E215.